Das Reisen der anderen – Wieso regt mich das so auf?
Wer kennt es nicht? Man scrollt durch Instagram oder schaut bei WhatsApp, was die Freund*innen und Bekannten gerade so treiben und schon nach kurzer Zeit lachen einen braun gebrannte und strahlende Gesichter vor atemberaubenden Kulissen in fernen Ländern entgegen. Oder man trifft sich auf einen Kaffee mit einer guten Freundin und sie fängt an, von ihren Urlaubs- und Reiseplänen zu erzählen: erstmal eine Woche nach Kreta, da ist es schön warm; dann im Frühsommer drei Wochen nach Kanada, da wollte sie schon immer mal hin; Richtung Winter muss dann auf jeden Fall noch ein Trip nach Teneriffa drin sein. Und zwischendurch geht es vielleicht noch für einen Kurztrip nach London. Während man sich mit Blick auf den eigenen Kontostand fragt, wie so etwas finanziell überhaupt möglich ist, stellen sich bei jedem klimabewegten Menschen zusätzlich die Nackenhaare auf. Man denkt sich: „Wie kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren?“ Und trotzdem – auch wenn es nicht zu den persönlichen Überzeugungen passt und man es nur ungern zugibt: Das eigene Fernweh wird geweckt, die Laune ist im Keller.
Was ist das, was man da fühlt? Oftmals Wut. Wut auf die Menschen auf den Bildern oder auf die Freund*innen, die man einerseits gernhat, die aber andererseits mehrmals im Jahr um die Welt jetten und offensichtlich einen Scheiß auf Nachhaltigkeit und drohende ökologische Katastrophen geben. Dann ist da noch die Angst vor der Klimakatastrophe, die einen immer wieder zu lähmen scheint und viel zu oft hoffnungs- und machtlos zurücklässt. Traurigkeit kann aufkommen. Durch die bereits sichtbaren und noch drohenden Auswirkungen der ökologischen Krisen werden die Menschen auch hierzulande Lebensqualität und Unbeschwertheit sowie wertvolle ökologische Lebensräume verlieren. Dieser Verlust macht traurig, denn er wird unumkehrbar sein. Direkt anschließend daran klopfen auch schon Schuld und Scham an. Denn andere Menschen werden vermutlich noch viel schlimmere Dinge erleben oder tun es jetzt schon, verlieren ihr Leben und ihre Existenzgrundlagen aufgrund der Klimakrise. Alles, woran man aber selbst gerade denkt, sind die eigenen Probleme und das egoistische Fernweh-Gefühl. Oder Scham, weil man so schlecht über die Freund*innen denkt, obwohl es doch sogar noch schlechtere Menschen gibt und man ja auch eigentlich nicht verurteilen möchte.
Das Gefühl von Neid
Ein sehr starkes Gefühl fehlt jedoch noch. Niemand gibt es gerne zu, doch wenn man mal ehrlich ist, kommt auch das auf. Speziell, wenn es ums Reisen in Zeiten der Klimakrise geht: Neid. Man ist neidisch auf die Menschen, die scheinbar unbeschwert alles machen, worauf sie Lust haben und diesen dicken Klotz „Klimakrise“ nicht jeden Tag mit sich rumtragen. Welcher nachhaltigkeitsbewegte Mensch sehnt sich nicht zurück nach jener Zeit – falls es die mal gab; vielleicht in der Kindheit, Jugend oder noch im (jungen) Erwachsenenalter –, in der alles so schön unbeschwert war, weil das Thema noch nicht auf der persönlichen Agenda stand? Wie befreiter das Leben doch ohne diese ganzen erdrückenden Sorgen wäre?
Wie gehe ich mit diesem Gefühl um?
Nun geht es aber darum, zu lernen, mit diesen Gefühlen und Gedanken, die nun mal da sind, umzugehen und Konsequenzen für das persönliche Handeln daraus zu ziehen. Zunächst einmal: Ja, viele Leute reisen – trotz oft titulierter „Flugscham“ und dem Wissen um die schädlichen Auswirkungen – weiterhin unbeirrt von A nach B, unternehmen Kurztrips oder Fernreisen per Flugzeug und das ohne oder trotz besseren Wissens. Das muss man erst einmal akzeptieren, so hart es ist. Denn auf direktem Weg und kurzfristig wird man kaum etwas daran ändern können. Nachhaltigkeit vorleben und im Freundes- und Bekanntenkreis auf das Thema ansprechen sind mögliche Veränderungshebel, doch sie sind begrenzt wirksam. Die Überzeugung, das eigene Handeln verändern zu müssen, muss von den Menschen selbst kommen. Alles andere führt zu Streit und Trotzreaktionen. Zumal Reisen oft eine sehr persönliche und emotionale Angelegenheit ist, die vor allem mit Freiheit assoziiert wird.
Doch die Gefühle sind jetzt da und sie anzunehmen und sie da sein zu lassen, ist keine leichte Aufgabe. Das ist jedoch unumgänglich, wenn man nicht verzweifeln möchte. Verdrängen hilft kurzfristig zwar weiter, ist aber keine langfristige Lösung. Der Austausch mit anderen, ähnlich denkenden Menschen hilft dabei enorm und schafft einen sicheren und bestärkenden Rahmen. Darüber hinaus ist vor allem gesellschaftliches und politisches Engagement wichtig, um einerseits die gesellschaftliche Transformation – auch Richtung nachhaltigeres Reisen – voranzutreiben und andererseits sich in Gruppen gegenseitig zu empowern und gemeinsame Erfolge – sollten sie auch noch so klein sein – zu feiern.
Was sind meine eigenen Bedürfnisse und was ist gesellschaftlich geprägt?
Interessant wird es, wenn einen selbst das Fernweh plagt, die eigenen Beweggründe ehrlich zu reflektieren: Welches Bedürfnis möchte man mit einer Reise oder einem Urlaub befriedigen? Die Suche nach Anerkennung durch tolle Bilder, die man teilt? Gehört Reisen zur Persönlichkeit, formt man damit die eigene Identität? Braucht man Ablenkung, Ruhe, Entspannung und Abstand vom anstrengenden (Job-)Alltag? Oder fährt man auf diese Weise in den Urlaub, weil man es schon immer so gemacht hat, also aus Gewohnheit? Und weil es alle machen, weil es ein gesellschaftliches Leitbild ist: „Reise und mache Urlaub, sonst gehörst du nicht dazu!“
Und weiter: Sind diese Bedürfnisse wirklich sinnvoll und stimmen sie mit den eigenen Werten überein? Oder gibt es nicht vielleicht Baustellen im eigenen Leben, die mit dem Reisen oder Urlaub machen kompensiert werden? Und macht es einen deshalb langfristig gar nicht wirklich glücklich? Vielleicht werden mit diesen Fragen und dem besseren Verständnis der eigenen Wünsche und Gedanken das Fernweh und das innere „Getrieben sein“ weniger. Ein stressiger Lebensstil wird nicht durch 2 Wochen Strandurlaub besser, statt dem kurzfristigen Urlaub braucht es eine Anpassung und Entspannung des Lebensstiles und dann sind auch Urlaube anders machbar. Vielleicht erkennt man dann, was einem eigentlich wichtig ist und ob das Reisen an sich nach wie vor dazugehört oder auch, ob das Reisen evtl. in einer anderen Form ebenfalls diese Bedürfnisse trifft – und das, ohne die Umwelt so zu belasten.
In einer Konsumgesellschaft, in der Massenkonsum – dazu gehört auch Reisen und Urlaub machen – zur Selbstverständlichkeit gehört, werden solche Fragen jedoch kaum gestellt. Auch der Urlaub als Aushängeschild und zum Angeben ist weit verbreitet und das Reiseziel wird nach der „Coolness“ ausgesucht und nicht vor allem nach dem, was eigentlich für den*die Reisende nötig ist. Doch auf einem Planeten mit ökologischen Grenzen ist Massenkonsum, oder in diesem Fall Massentourismus, nicht zukunftsfähig. Das unbeschränkte Konsumieren und die teils an der Meinung von Anderen ausgerichtete Auswahl tut darüber hinaus auch der menschlichen Psyche nicht gut. Oder ist das Abhaken von Länder-Bucket-Lists und das schnelle Durchrasen durch Städte, um auch ja vor allen Sehenswürdigkeiten Selfies machen zu können, wirklich erfüllend? Erinnert man sich an die schönen Details der seltenen Bauwerke, an die besondere Natur, an die Menschen, an die kulturellen Besonderheiten, an die Gerüche vor Ort oder doch nur an den Stress, weil man Angst hatte, etwas zu verpassen? Sammelt man auf diese Weise wertvolle Erinnerungen fürs Leben?
Darüber hinaus sollte klar sein, dass man als Reisende*r extrem privilegiert und nur eine*r von wenigen ist, die die Gelegenheit dazu haben. Das wertschätzende, langsame, sinnliche, bewusste und seltenere Reisen sollte deshalb wieder in den Vordergrund rücken – für die Nachhaltigkeit sowie für die eigene Psyche. Dieses Handeln nach den eigenen Werten kann zu mehr Gelassenheit beim Betrachten der Urlaubsbilder anderer führen – und Energie geben für das Engagement für eine nachhaltigere Zukunft.
- Jaqueline Auerswald