Zug vs. Flug – Bequem, gut und klimafreundlich reisen?
Um den Klimawandel einzudämmen und Umweltbelastungen zu verringern, ist die Veränderung des eigenen Lebensstils eine Maßnahme, zumindest den persönlichen Fußabdruck zu verkleinern. Vegetarische oder vegane Ernährung, Biolebensmittel, Plastikvermeidung, Secondhand einkaufen und das Konsumniveau allgemein senken – damit können Einzelpersonen im Kleinen zu einer besseren Welt beitragen. Doch wie sieht es mit dem persönlichen Reiseverhalten aus? In vergleichsweise kurzer Zeit um die Welt reisen zu können und andere Länder und Kulturen kennenlernen zu dürfen, ist zunächst einmal ein Privileg, das vornehmlich Menschen aus den Ländern des globalen Nordens zuteilwird – also einer globalen Minderheit. 90 Prozent der Menschheit saß dagegen noch nie in einem Flugzeug. Insbesondere Flugreisen verursachen aber erhebliche Klima- und Umweltbelastungen, die letztendlich alle Menschen, und vor allem Menschen im globalen Süden, negativ betreffen. Zudem führen viele Reisen in diese ohnehin vulnerablen Länder und hinterlassen vor Ort Müllberge, eine Verknappung der Ressourcen, Umweltverschmutzung, zerstörte Ökosysteme und eine geschwächte lokale Wirtschaft, weil Gewinne meist an große Tourismusfirmen im Ausland abfließen.
Es geht beim Reisen also auch um Klimagerechtigkeit. Doch die Welt ist so groß, vielfältig und spannend und jeder Mensch lebt eben nur einmal – da werden schnell mal alle Bedenken über Bord geworfen (sofern überhaupt welche da waren). Und außerdem: Das machen doch alle! Wieso sollte ich mich zurückhalten? Bringt doch eh nichts, die Flugzeuge fliegen auch ohne mich.
Da ist natürlich was dran. Der politische Wille, hier etwas zu verändern, ist nicht vorhanden. Die aktuell nicht nachhaltige Reisebranche wächst weiter, wie unsere gesamte Wirtschaft. Doch ist es nicht auch ein Zeichen, das ich für mich und für die Menschen in meiner Umgebung setze, wenn ich da nicht mehr mitmache? Vielleicht kann ich als Vorbild dienen, wenn ich mein Reiseverhalten ändere und trotzdem wunderschöne Reisen erlebe? Denn Fakt ist auch, dass allein ein Flug nach Mallorca und zurück fast 600 kg CO2 pro Person verursacht. Wenn man bedenkt, dass das klimaverträgliche CO2-Budget einer Person bei einer Tonne pro Jahr liegt, ist da nicht mehr so viel Luft nach oben. Und soll es mal noch weiter gehen, beispielsweise auf die Philippinen, werden es schon knapp 8 Tonnen. Da bekommt der Sommerurlaub einen faden Beigeschmack. Denn mit einer solchen Reise wird bereits fast der komplette durchschnittlichen CO2-Ausstoß einer in Deutschland lebenden Person pro Jahr (ca. 10 bis 11 Tonnen) erreicht.
Dazu sollte man sich immer bewusst machen: Auch die Nachfrage bestimmt das Angebot und je weniger Menschen die angebotenen Flüge in Anspruch nehmen, desto weniger Flüge wird es geben. Das Argument mit den ohnehin fliegenden Flugzeugen stimmt deshalb nur begrenzt.
Das Wissen um die schädlichen Auswirkungen des Fliegens wird zunehmend größer: Die „Flugscham“ (ursprünglich ein Begriff aus Schweden) greift um sich und scheinbar wollen viele Menschen nicht mehr weitermachen wie bisher. Nach den eigenen Werten zu handeln, macht Menschen zufriedener. Der innere Konflikt „Wissen gegen Handeln“ nimmt ab. Man tut oder lässt Dinge aus einem guten Grund und lebt anderen Menschen einen nachhaltigeren Lebensstil vor. Beim Reisen gilt dabei: Umso näher und länger, desto besser. Die Anreise sollte in einem angemessenen Verhältnis zur Dauer der Reise stehen. Mit dem Fernbus 20 Wochenenden im Jahr nach Italien und zurückzufahren ist am Ende ebenfalls vergleichsweise klimaschädlich und nicht unbedingt Sinn der Sache.
Handle ich nach meinen Werten oder mache ich‘s, weil‘s andere auch machen?
Die Nachrichten zur Klimakrise und anderen Umweltkrisen überschlagen sich immer mehr. Wie sieht es da mit dem eigenen Gewissen aus?
Beim Reisen und Urlaubmachen geht es um Erholung, Spaß, neue Orte und Kulturen kennenlernen – aber auch um Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung. Zur Gruppe der Reisenden dazugehören und sich von den Nicht-Reisenden abgrenzen ist ein zentrales Bedürfnis. Fernreisen und verschiedene Kurztrips zu „instagrammable places“ – also Orten, die es wert sind, sie auf Instagram zu posten – sind dabei sehr attraktiv. Der günstige Preis machts möglich und er ist politisch gewollt: Energie- bzw. Mehrwertsteuerfreiheit auf Kerosin und internationale Flüge machen Fliegen sehr günstig. Wenige Wochen lange Fernreisen auf andere Kontinente sind nur mit dem Flugzeug realistisch. Mit Containerschiffen mitfahren oder Segeln dauert zu lange, ist zu teuer und für Viele eher unbequem. Diese Möglichkeiten nutzen nur einzelne Reiselustige mit viel Zeit und Geld. Hier muss deshalb die Frage gestellt werden, ob die Vielzahl der Fernreisen denn wirklich nötig ist.
Innereuropäische Reisen sind dagegen auch mit dem Fernzug oder -bus möglich. Gegenargumente sind der bereits erwähnte Preis und oft auch die Zeit sowie die Bequemlichkeit. Hier sollte genauer draufgeschaut und hinterfragt werden:
Dauert meine Reise wirklich insgesamt länger, wenn ich die Strecke direkt ganz mit dem Zug oder Fernbus fahre? Denn ich muss ja auch irgendwie zum Flughafen kommen, einchecken, am Gate warten und am Zielort auf meinen Koffer warten. Oft ist es also ein Trugschluss, dass die Reise mit dem Flugzeug schneller geht.
Ist eine Flugreise tatsächlich bequemer als der Zug oder der Bus oder schlaucht das Fliegen und alles drum herum nicht auch sehr? Ist Fliegen nicht auch Stress durch das Warten an der Kontrolle und dem Sitzen auf harten Stühlen im Wartebereich? Zudem bieten Billigflieger oft nur wenig Platz und unbequeme Sitze.
Ist eine Flugreise tatsächlich günstiger als der Zug oder der Bus, wenn ich mich früh genug darum kümmere? Bahncards, Rabattaktionen, Sparpreise – Es gibt viele Wege zu einem günstigen Ticket und Planung ist das A und O. Und hier stellt sich auch die Frage, welche Werte ich vertreten möchte und wofür ich mein Geld ausgeben möchte. Ist mir etwas mehr Geld für den Zug und dafür aber das Wissen, dass ich die Umwelt weniger belaste, etwas wert? Oft tendieren wir zur preislich günstigeren Variante und vergessen hierbei die realen Kosten und unsere Werte. Als Vergleichsbeispiel: Uns ist ein leckeres, frisches Essen auch mehr Geld wert als ein trockenes Brötchen, obwohl uns am Ende beides satt machen würde. Hier sind wir uns im Klaren darüber, wofür wir mehr zahlen wollen, weil wir direkt den Unterschied spüren bzw. schmecken. Vielleicht sollte uns auch die geringere Umweltbelastung bei der Anreise einen möglichen Aufpreis wert sein.
Nachtzüge: Hotels auf Rädern
Die Deutsche Bahn hat 2016 seine Nachtzüge eingestellt, doch aktuell werden zunehmend Verbindungen reaktiviert (in Kooperation mit der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB)). Andere europäische Länder bauen ihr Angebot ebenfalls weiter aus. Die Nachfrage ist jedoch aktuell höher als das Angebot, was die Preise noch in die Höhe treibt. In Zukunft wäre es deshalb wünschenswert, dass das Angebot weiterhin so stark wächst, dass die Preise sinken. Zudem werden z.B. bei der ÖBB neue Nachtzüge eingesetzt, die mehr Komfort bieten sollen.
Aus der Klimaschutzsicht lohnt es sich aber allemal: Hin- und Rückflüge von Frankfurt nach Rom schlagen mit 597 kg CO2 pro Person zu buche, Hin- und Rückfahrten mit dem Zug gerade mal mit 114 kg pro Person. Dazu kommt das Erlebnis Zugfahrt: Zumindest tagsüber kann man schon die vorbeiziehende Landschaft genießen.
Auf der Seite von Interrail gibt es eine gute Übersicht über alle Nachtzugangebote in Europa: https://www.interrail.eu/de/plan-your-trip/tips-and-tricks/trains-europe/night-trains
Und hier sind noch zwei Podcast-Tipps zum Thema:
- „Was jetzt?“-Podcast von Zeit online: https://www.zeit.de/politik/2022-07/nachtzuege-europa-reisen-klimaschutz-nachrichtenpodcast
- „Zeitfragen. Feature“ von Deutschlandfunk Kultur: https://www.deutschlandfunkkultur.de/das-rollende-schlafzimmer-klimafreundliches-reisen-mit-dem-nachtzug-dlf-kultur-9b38af87-100.html
Mit der Fähre übers Meer
Einige Länder sind auch gut per Fähre zu erreichen. Etwa die skandinavischen Länder, Island, Britannien oder auch verschiedene Länder im Mittelmeerraum. Wer nicht seekrank wird, kann sehr bequem mit einer Fähre reisen. Viele Fähren bieten sogar Fahrten über Nacht, wo man sich eine Kabine mit Bett buchen kann. Auch dies kann ein erstes kleines Abenteuer werden. Aufenthaltsbereiche, große Gänge, Außendeckbereiche und Restaurants an Bord machen die Fährfahrt angenehm.
Leider sind Schiffe keine klimafreundlichen Verkehrsmittel, weil sie oft noch mit Schweröl fahren. Dennoch sind sie im Vergleich zum Flugzeug die bessere Alternative für eine Überfahrt. Kreuzfahrtschiffe dagegen sind nicht zu empfehlen. Diese schwimmenden Kleinstädte verbrauchen so viel Energie, dass sie innerhalb von 7 Tagen 1,9 Tonnen CO2 pro Person ausstoßen, Hin- und Rückflüge kommen bei vielen Reisezielen noch dazu.
Mit diesem Rechner können die Emissionen von Fähr- und Flugreisen miteinander verglichen werden: https://www.directferries.de/co2_fussabdruck_rechner.htm
Und jetzt?
Die Neugier und der Wunsch, einen ganz anderen Teil der Welt kennenzulernen, bleibt bei den meisten trotz Klimakrise vorhanden. In Anbetracht der Dringlichkeit, sollten wir allzu weite Reisen gar nicht mehr unternehmen. Es wäre aber schon viel erreicht, wenn diese Reisen nur noch alle 10 oder 20 Jahre oder sogar nur noch einmal im Leben unternommen werden würden. Denn eins ist auch zu beobachten: Reisen sind zum Konsumprodukt geworden, Länder werden abgehakt, der Instapost ist wichtiger als die tatsächlichen Erfahrungen vor Ort. Die Wege sind durch das Flugzeug sehr kurz geworden und das Gefühl für Distanzen ist abhandengekommen. Wie wär‘s also, wenn wir wieder langsamer reisen, die Anreise als festen Bestandteil der Reise begreifen und die sich verändernde Umgebung vor dem Zug- oder Busfenster mit Staunen betrachten? Wir sollten wieder anfangen, Seltenes zu genießen und wertzuschätzen, anstatt für eine Woche Thailand oder den Wochenendtrip nach London ins Flugzeug zu steigen. Dann doch lieber mehr Zeit nehmen und London und andere europäische Reiseziele mit dem Bus, der Bahn (oder sogar mit dem Fahrrad) bereisen. Dinge, die wir oft und jederzeit haben oder machen, werden beliebig. Seltene Highlights bleiben in Erinnerung und machen glücklich und dankbar. Die Highlights einer Reise bestehen deshalb im Idealfall also nicht aus dem Abhaken von Eifelturm oder Machu Pichu, sondern aus Neuentdeckungen, schönen Landschaften und interessanten Gebäuden, aus Erholung und schönen Erinnerungen.