Mein Besuch im Hambacher Forst

Ein Wald wird zerstört, um dort Braunkohle abzubauen. Einfach wirr!

Jonas Duhme (Landesleitung Naturfreundejugend TBW): Ich war vor kurzem das erste Mal am „Hambi“, dem Hambacher Forst. Der größte Teil des ursprünglichen Waldes ist bereits zerstört und an der nördlichen Seite klafft ein kilometerbreites und 400 Meter tiefes Loch. Jedes Jahr dürfen dort ab Oktober zusätzliche 70 Hektar Wald gerodet werden, um weitere Braunkohle abzubauen. Diese ist die klimaschädlichste Energiegewinnung weltweit. Bereits heute sind Millionen Menschen vor dem Klima auf der Flucht und die Naturkatastrophen mehren sich. Gleichzeitig soll mitten im ach-so-umweltbewussten und fortschrittlichen Deutschland ein jahrtausendealter Laubwald vernichtet werden, damit der Konzern RWE an diesen dreckigen Energieträger gelangen kann. Das wirkt und ist in unseren heutigen Zeiten auf so viele Weise völlig falsch. Der einäugige Riese RWE kann hier nur verlieren.

Seit Beginn des Einsatzes ist jegliches Betreten des „Bürgerwald Hambacher Forst“ offiziell verboten. Um die diesjährige Rodung des Waldes zu gewährleisten, werden nun - offiziell wegen mangelnden Rettungswegen und fehlendem Brandschutz (kein Scherz!) – die gut 50 Baumhäuser der Baumbesetzer*innen von Polizist*innen geräumt. Dies geschieht auch unter der Anwendung vom „unmittelbarem Zwang“ (also nichts anderes als handfester Gewalt). Die Aktivist*innen sollen offensichtlich von der Außenwelt isoliert werden und auch viele Pressemitarbeiter*innen berichten, dass sie kaum oder keinen direkten Zugang zu den Baumhaussiedlungen bekommen.

Der Einsatz ist einer der größten Polizeieinsätze in der Geschichte des einwohnerreichsten Bundesland Deutschlands. Er kostet den Steuerzahler nach Schätzungen der Gewerkschaft der Polizei bereits einen zweifachen Millionenbetrag. Es ist absehbar, dass die Kräfte voraussichtlich noch Wochen vor Ort beschäftigt sein werden. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW sieht den Einsatz insgesamt sogar als „eine krasse politische Fehlentscheidung“.

Mein Erfahrungsbericht ist natürlich sehr subjektiv, aber ich hoffe, euch einen Eindruck vermitteln zu können, was für ein intensives Wochenende das dort war. Auch wenn der Hambi vielleicht nicht gerettet wird, erlebt man dort derzeit trotzdem, was sich in Zukunft und wie sich die Zukunft ändern wird.

Samstag

Was ist denn nun eigentlich genau los? Am Samstagmorgen wurde ich früh wach und las sowohl bei Spiegel-Online als auch bei Facebook Berichte über die Situation im und am Hambacher Forst. Beim Frühstück informierte ich mich weiter, aber viele Informationen passten einfach vorne und hinten nicht zusammen. Aber: Unterschiedliche Gruppen und Bündnisse riefen dazu auf, sich an Aktionen am Wald zu beteiligen, von dem ab Oktober weitere 70 Hektar gerodet werden sollen.

Um die Sache kurz zu machen: Schnell ein paar Brote mehr geschmiert und schon ging es ohne große Überlegungen am Vormittag von Bielefeld Hauptbahnhof nach Köln und von dort aus mit der S-Bahn weiter nach Buir, einer kleinen Ortschaft nahe des Braunkohleabbaugebietes. In den letzten Minuten der Fahrt in der S-Bahn konnte man bereits Teile eines beeindruckenden Loches sehen, das mitten in die Landschaft gebaggert worden war (das waren nur sehr, sehr kleine Teile, wenn man sich mal einen Überblick bei GoogleMaps verschafft!). Vor Ort traf ich zufällig auf zwei Freundinnen aus Bielefeld, denen es ähnlich ging wie mir und die sich ein Bild der Lage verschaffen wollten. Zusammen mit mehreren Dutzend anderer Menschen liefen wir vom Buirer Bahnhof aus der Stadt heraus in Richtung Wald, auf einer Brücke über die extra verlegte Autobahn und Bahnstrecke, auf der die Braunkohle in die nahegelegenen Kraftwerke transportiert wird. Früher Nachmittag, leicht bewölkt, Pullovertemperatur, etwas Wind. Nach zehn Minuten Fußmarsch erreichten wir 300 Meter vor dem Wald eine kleine Mahnwache. Vor einer Kette von gut fünfzig Polizist*innen in voller Einsatzmontur saßen an die hundert Menschen. Darunter Familien mit Kindern auf Picknickdecken. Hin und wieder ein halbherziger Sprechchor:

„Hambi?“ - „Bleibt!“. „Hambi?“ - „Bleibt!“. „Hambi, Hambi, Hambi??“ - „Bleibt, bleibt, bleibt!!“

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Foto von Sylvie Gassner

Das war jetzt alles? Das kommt dabei heraus, wenn alle großen Medien berichten und das Internet voll ist von Aufrufen, sich am "Battleground for Climate Action" (Deutsche Welle) zu beteiligen? Wo sind die weiteren 3450 Polizist*innen, von denen überall die Rede war? Klar, einige von denen räumten im Wald wohl grade die Baumhäuser der Waldbesitzer*innen, aber warum waren hier alle so entspannt? Per Funkdurchsage erhielten die Einsatzkräfte dann sogar die Erlaubnis, die Helme abzusetzen. Jubel und Sprechchor: „Auszieh'n! Auszieh'n!“. Deeskalation statt Konfrontation.

Abseits der Polizeilinie gingen jedoch einige Menschen einfach vorbei, weiter in Richtung Wald. Die Polizist*innen beachteten sie nicht einmal. In der Entfernung war allerdings auch eine weitere Polizeilinie zu entdecken: Gut hundert Meter vor dem Waldrand standen im Abstand von etwa 15 Metern - wie auf einer Perlenkette aufgereiht - Polizeikräfte und Einsatzfahrzeuge entlang des gesamten von hier aus sichtbaren Waldes. Mitten in der Landschaft.

Auch wir umgingen die kleine Versammlung problemlos und folgten den anderen Menschen in Richtung dieser Polizeilinie. Ab hier begann wohl mein eigentliches Wochenende am „Hambi“. Nach zehn Minuten erreichten wir das dem Wald vorgelagerte Camp aus Wohnwagen, Campern und selbstgezimmerten Hütten, von denen aus bis zum Beginn der Räumungen die Aktivist*innen ihre Besetzung im Wald koordiniert hatten. Das Camp liegt auf dem Feld hinter der Polizeilinie am Waldrand, knapp außer Rufweite. Ein Helikopter behielt die Situation hier aus der Luft im Blick. Offensichtlich war, dass die Polizei an dieser Stelle besser besetzt war und die Abstände zwischen dem Beamten deutlich kleiner waren als im Rest des Waldes. Hier trafen wir auf einem kleinen Flugfeld gut vierhundert Menschen, aber auch hier: Vor allem Stille, Familien, Ältere, Jüngere, ein Typ mit Gitarre: Insgesamt einfach „ganz normale“ Menschen.

Nur ein paar eher jüngere Demonstrant*innen provozierten und verschmähten die Polizist*innen und deuteten an, in den Wald durchbrechen zu wollen. Wobei mich vor allem das Gefühl beschlich, dass ihre Aktionen und Provokationen mehr auf die Polizei abzielten als ernsthaft darauf, durchzukommen. Die Polizei machte hin und wieder per Durchsage deutlich, dass ein Durchbruchsversuch als Landfriedensbruch gewertet werden würde.

Immer mehr Menschen kamen aus der Richtung der Mahnwache, deren vorgelagerte Mini-Polizeilinie von hier aus nur wie ein kleiner, lächerlicher Bluff der Polizei wirkte. Mit der Zeit kam Dynamik in die versprengten Gruppen an der eigentlichen Linie, auch wenn wohl kaum jemand daran glaubte, ernsthaft in den Wald durchbrechen zu können. Und: Wofür auch eigentlich, was dann? Plötzlich ging es hin und her vor den eng gestaffelten Beamten, die entsprechend folgen mussten und versuchten Durchbrüche teilweise äußerst grenzwertig abzuwehren. Ein ungefähr 70-jähriger Herr mit langen weißen Haaren und Rauschebart wurde zwei, drei Mal ziemlich rücksichtslos abgeblockt und landete im Staub des Feldes, wurde aber nicht festgehalten oder festgenommen.

Eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch wollte ich nicht riskieren und deshalb hielt ich mich knapp außerhalb der Zugriffs-Reichweite der Polizei. Ein wenig Joggen nach links und rechts war aber doch wohl in Ordnung, ist ja jedermanns Recht auf so einem Feldweg, mitten im Nirgendwo? Gleichzeitig versuchte ich aber immer noch vor allem zu verstehen, was hier passierte: Was sollte das hier bringen?

Plötzlich: Aufbrandender Jubel. DAS sollte es bringen: 250 Meter rechts von uns waren mehrere Menschen in den Rücken der Polizisten gelangt und rannten in den Wald oder in Richtung des Camps. Die Polizeilinie war an einem mehreren hundert Meter langen kleinen Steinbruch nicht ernsthaft besetzt, wohl weil das Gelände mit seinen Erdwällen als unbegehbar eingeschätzt worden war.

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Foto von Sylvie Gassner

Schlagartig begann die Situation bei uns auf Höhe des Camps recht lebhaft zu werden, möglichst viele Polizeikräfte sollten nun natürlich hier gebunden werden. Ein lebhaftes Auf und Ab vor den Polizisten und angedeutete Durchbrüche waren hier das Mittel der Wahl. Am Steinbruch und auch vereinzelt am Camp gelangten in den folgenden zwei Stunden schätzungsweise 200 bis 300 Menschen vorbei an der Polizei. Die Polizeikräfte schien dies irritierenderweise insgesamt wenig zu stören. Viele taten ihren Dienst an Ort und Stelle, die Einsatzkoordinatoren reagierten offensichtlich auch nicht, um die Lücke dort zu schließen. Viele Polizeikräfte am Rande des Geschehens reagierten nun auch nur halbherzig auf durchbrechende Demonstrant*innen. Bei vielen wirkte es offensichtlich so, als wären sie nicht besonders begeistert, seit Tagen irgendwo im Nirgendwo auf dem Feld zu stehen und am Ende noch in voller Montur übers Feld flitzende Menschen zu jagen. Jede Person, die nun über das Feld rannte, wurde mit Beifall seitens der Demonstrant*innen bedacht.

Als unsere spontane Wochenend-Sportgruppe ein weiteres Mal nach rechts an der Linie entlangjoggte, brandete plötzlich noch lauterer Jubel auf: Im Hintergrund sah ich erwähnten älteren Herrn mit wehenden weißem Haar quer über das Feld auf das Camp zulaufen. Unerklärlich, wie er an einer so dichten Stelle durchgekommen war.

Erst gegen 18 Uhr - also gut drei Stunden nach den ersten ernsthaften Durchbrüchen - schloss die Polizei die Linie am kleinen Steinbruch. Ein Trupp von gut 50, sehr massiven und bulligen Polizist*innen marschierte auf. An ihre Spitze hatte sich ein junger Aktivist gesetzt, der mit ebenso strengem Blick vorneweg marschierte. Dabei hielt er die einschlägige „Hambi bleibt“-Fahne wie eine Kompanie-Standarte sehr ernst vor sich her. Es fehlten nur noch die Fanfaren.

Ein völlig surrealer Moment - und ich meine auch, einige Polizist*innen schmunzeln gesehen zu haben. Waren wir hier eigentlich am Hambi oder doch bei „Herr der Ringe“? Auf jeden Fall ein weiterer Held des Tages! Solche Bilder werden bleiben, auch in den Kameras der Filmteams des Fernsehens.

Die wirklich ernsthaften Versuche zu Durchbrüchen hatten gen Abend nachgelassen. Viele Menschen strebten zurück zum Buirer Bahnhof. Was ein Tag! Und so völlig anders als jede Demo oder politische Aktion, an der ich bisher teilgenommen hatte.

Wieder im Zug überkam mich das starke Gefühl, dass es das doch nicht sein könnte, jetzt wieder zurückzufahren und morgen an den Schreibtisch zurückzukehren, um mich meiner Geschichts-Hausarbeit zu widmen (die sehr bald abgegeben werden muss). Kurzfristig organisierte ich mir also einen Schlafplatz bei einer Freundin in Bonn und fuhr am Sonntagvormittag zurück nach Buir.

Sonntag

Bereits am Bahnhof war alles anders. Die Brücke über die Auto- und Eisenbahn war dicht, aber hinter dem Bahnhof sollte die Versammlung zur großen Demonstration stattfinden. Dort hatten sich bereits mehrere tausend Menschen eingefunden. Auch hier wieder ein ähnliches Bild der Teilnehmer*innen: Ein breites Bündnis von Vertreter*innen der gesamten Gesellschaft. Hier zeigte sich deutlich, warum es so dermaßen viele und vielfältige Gründe gibt, genau hier, genau jetzt zu demonstrieren: Gegen die Abholzung eines uralten Waldes, gegen die Gewinnung und Verbrennung von Braunkohle, gegen die Umsiedlung und Vernichtung von Ortschaften, gegen die Vernichtung eines Lebensraums seltener Tierarten, gegen einen rücksichtslosen, profitorientierten Energiekonzern, gegen den Einsatz der Polizei und Steuermitteln für diesen Konzern, gegen den Kapitalismus oder gegen das Versagen der Politik – oder eben einfach alles zusammen. Ein dermaßen breit gefächertes, gesamtgesellschaftliches Bündnis, so etwas habe ich wirklich noch nie erlebt.

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Foto von Jonas Duhme

Nach ein paar Reden setzte sich der langgezogene Demonstrationszug in der prallen Sonne bei knapp 30 Grad auf der vorgesehenen Route über eine Fußgängerbrücke in Richtung des Waldes in Bewegung. Ich lief in den ersten Reihen mit über die Feldwege und hatte die Chance, ein kleines Gespräch mit dem Demoleiter der Polizei zu führen, in dem er zwischen den Zeilen durchaus andeutete, welche Sympathien er für die Aktion hätte. Allerdings wurde auch während der Demonstration mehrfach von Polizei und Organisator darauf hingewiesen, sich stets auf der vorgesehenen Route der Demo zu bewegen, da ein Abweichen als Hausfriedensbruch bewertet werden könne. Trotzdem (Vorsicht: Wortspiel!) wirbelten wir ab jetzt ordentlich Staub auf.

Ich schätze, dass zwischen sechs und siebentausend Menschen an der Mahnwache ankamen und dort einen Stopp für eine Zwischenkundgebung einlegten. Nach Aufforderung des Demo-Initiators Michael Zobel zog sogar der Polizeihubschrauber ein paar Hundert Meter weiter, da der Rotorenlärm die Lautsprecher des Lautis für die Zuschauer weiter hinten übertönte.

Allerdings sollte in den folgenden Reden auch thematisiert werden, welches Unrecht derzeit hinter dem Waldrand stattfände: Noch während die Klimakommission in Berlin tage, schaffe RWE Fakten, indem die Baumbesetzer*innen durch Einsatzkräfte der Polizei mit Gewalt entfernt würden. Es mute darüber hinaus mehr als fragwürdig an, wenn die eigentlichen Rodungen aufgrund des Tierschutzgesetzes (Brut- und Nist-Zeiten) erst ab Oktober beginnen dürften, nun aber bereits mit Kettensägen Schneisen für die riesigen Kranwagen und gepanzerten Einsatzfahrzeuge geschaffen und die Baumhäuser mit lauten Gerät zerstört würden. Nach mehreren offiziellen Redner*innen wurde auch spontan einem Aktivisten das Wort erteilt, der erst vor zwei Tagen aus seinem Baumhaus vertrieben worden war. Er sprach von der Vision, was nun passieren könnte, wenn sich alle Demoteilnehmer*innen dazu entschließen würden, spontan auf den Wald zuzumarschieren.

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Foto von Jonas Duhme

Kein aufbrausende Jubel, kein wilder Run auf den Wald. Aber das hätte auch nicht zur Stimmung am Wochenende gepasst. Der Wink aber war irgendwie klar und funktionierte: Um die 1500 Teilnehmer entschlossen sich nach und nach, die vorgesehene Route der Demonstration (die abseits des Waldes weitergegangen wäre) zu verlassen und strebten über ein Feld in Richtung Hambi. Auch hier: Vor allem Stille, keine Hektik, wir sind hier und das ist richtig und - sorry, liebe Polizei - wir werden jetzt in diesen Wald gehen! Einfach nur sehr, sehr viele mündige Bürger*innen aller Art, die sich spontan zu einem Akt des zivilen Ungehorsams entschlossen. Die Luft schien zu vibrieren, als die ersten von ihnen die Reihe der Polizist*innen erreichten. Was würde passieren, wie würden sie reagieren?

Einige agierten anfangs hart, aggressiv und teils äußerst brutal, gar kein Frage. In mir werden aber vor allem die Bilder bleiben, in denen die meisten halbherzig agieren oder sich einfach gar nicht regen: Die meisten Menschen umgingen die allzu schlagfertigen Polizisten einfach - und kamen dann an anderer Stelle leichtfüßig durch. Innerhalb weniger Minuten erreichten in der ersten großen Welle an die 500 Menschen den Wald. Nachstrebende Menschen erreichten die Polizeilinie und verharrten dort und setzten ein klares Zeichen: Wir sind mehr! Die ganze Situation war irgendwo zwischen „total surreal“ und „sagenhaft magisch“ einzuordnen. Auch an vielen weiteren Stellen erreichten Hunderte den Forst. Es war schlicht und ergreifend eine Demonstration der Macht. Irgendwo stimmten ältere Teilnehmer*innen „We shall overcome“ an. Klischee, lass nach! Nachdem sich die Linie der Polizei etwas gesammelt hatte und der Großteil derer, die in den Wald gewollt hatten auch durchgekommen war, begann vor allem das Katz- und Maus-Spiel, dass ich nun schon vom Vortag kannte.

Man muss das noch einmal unterstreichen: Am vorausgegangenen Sonntag hatte die Demonstration aus mehreren hundert Menschen bestanden - und war als großer Erfolg gewertet worden, weil sich die Teilnehmerzahlen zur Vorwoche verzehnfacht hatten. Nun strebten tausende Menschen in den Hambacher Forst und zeigten Flagge: Nicht mit uns!

Später erzählten mir mehrere Rückkehrer*innen aus dem Wald, dass sie in „Oaktown“ oder „Sherwood Forest“ geholfen hätten, Barrikaden aufzubauen und dass viele andere die Baumbesetzer*innen mit Lebensmitteln und Wasser versorgt hätten. Rufe, Sprechchöre und Soli-Bekundungen wären bis zu den Baumhäusern durchgedrungen. Da die Polizei im Wald zeitgleich hunderte Menschen verfolgen musste, war ein ziemliches Chaos entstanden und die Räumung zwischenzeitig unterbrochen worden. Zwei Jungs, die wirklich in keinster Weise dem Klischee von linksgrünversifften Ökoterroristen entsprachen, waren sichtlich glücklich über ihren „sonntäglichen Waldlauf mit Intervallphasen“ und hofften, diesen hier am nächsten Wochenende wiederholen zu können.

Nicht vergessen werde ich auch das Bild eines etwa 11-jährigen Jungen, der auf dem trockenen und völlig zertretenen Stoppelfeld einen Frosch gefunden hatte. Zusammen mit seinem Vater ging er nach vorne und fragte, ob er den Frosch zum Wald bringen dürfe. Die Blicke der überwiegend jungen Einsatzkräfte der Hundertschaften sprachen Bände, aber keine*r konnte sich schlussendlich durchringen, den Jungen durchzulassen. Auch hier wieder spontane Protestrufe: „Der Frosch muss inn' Wald! Der Frosch muss inn' Wald!“.

Als schließlich gegen fünf Uhr die größte Luft raus war, erreichten viele Menschen mit Jungbäumen und Sträuchern auf einem Wege direkt am Wald die Linien, um sie dort symbolisch anzupflanzen. Auch hier kam es vermehrt zu bemerkenswerten Szenen, wie etwa als ein Polizist beim Pflanzen half oder ein anderer darüber fachsimpelte, ob der junge Baum hier nicht zu sehr im Schatten stehe. Antwort des Demonstranten: „Ist doch scheissegal, ist doch eh bald alles weg hier“. Große Augen des Polizisten: „Ey, sach mal, das ist aber mal die ganz falsche Einstellung hier, Freundchen!“. „Ja, du hast ja eigentlich recht, sorry!“.

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Foto von Alex Krause

An dieser Stelle pflückte ich recht gedankenverloren ein paar Samen von einem Ahorn ab. Nur für den Fall, dass genau an dieser Stelle bald nur noch ein 400 Meter tiefes Loch sein würde. Erst im Zug fiel mir immer mehr auf, wie bitter-süß dieser Moment gewesen war. Ja, seien wir ehrlich: Wahrscheinlich wird dort bald ein weiteres monumentales Loch im Boden sein, der Kapitalismus wird sich wie ein sterbendes Tier ein letztes Mal aufbäumen und den Hambi auslöschen.

Und doch: Egal wie es ausgeht, der einäugige Riese RWE kann und wird hier nur verlieren. Die Menschen werden ein solches Unrecht so nicht ein weiteres Mal hinnehmen. Und so ganz werdet ihr uns ihn nicht nehmen, den Hambi! In den nächsten Wochen und Monaten - und auch in den nächsten Jahren, vor jeder neuen Rodungssaison werden wir erneut um ihn kämpfen. So oder so, er wird in vielen Menschen weiterleben und die Ahornsamen an anderer Stelle neu verpflanzt.

Hambi bleibt!

Übrigens: Kommt am 6.10. mit zur Großdemo "Wald retten! - Kohle stoppen!" am Hambacher Forst. Mehr Infos hier: naturfreunde.de/termin/demo-wald-re...