Beginne bei dir selbst durch Miteinander

Eine Übung bestand in einer in Kleingruppen per Fäden zusammengebundenen Pause. Anschließend wurde über Privilegien, mehr/weniger Freiheit, Einschränkungen in der Gesellschaft, Entscheidungsfindung in Gruppen und das eingehen von Kompromissen geredet.

In dieser Übung sollte in 3 Schritten ein Traumhaus erstellt werden. Erst jede*r für sich, dann in Kleingruppen und dann in der großen Gruppe. Dies führte zu Diskussionen über Demokratie, Entscheidungsfindung, Vertrauen in Abgesandte und Mitbestimmung.

Für die Reflektionsrunden wurden farbige Karten genutzt (grün = positiv, gelb = mittelmäßig, rot = schlecht). Dies half, die Gedanken und Gefühle zu ordnen und sich in der Gruppe schnell einen Überblick über die Zufrieden-/Unzufriedenheit zu verschaffen.

Fotos von Janinka Lutze/Naturfreundejugend Deutschlands

30 junge Naturfreund*innen aus unterschiedlichen Ländern begaben sich auf eine gemeinsame Achterbahnfahrt der Gefühle, um Demokratie und Gerechtigkeit besser zu verstehen.

Ein Seminar mit vielen anderen jungen Naturfreund*innen - was erwarte ich da? Spiele, neues Wissen, Bekanntschaften und natürlich jede Menge Spaß und tolle Erlebnisse. Doch dieses Seminar brachte auch viel Frustration und Unwohlsein – gewollt und gewünscht und trotz der negativen Gefühle von allen Teilnehmenden akzeptiert. Das Seminar hieß "Start with yourself" und wurde von der International Young Naturefriends im Naturfreundehaus in Cecina in Italien organisiert.

Betzavta

Betzavta (hebräisch für „Miteinander“) nennt sich die Methode, die wir während des Seminars kennenlernen und vor allem erleben durften. Es ist eine Methode, die unter die Haut geht und einen tief im Innern trifft. Jeden für sich, aber auch die Gemeinschaft als solche.

Betzavta wurde 1988 in Jerusalem von Uki Maroshek-Klarman am Adam Institute for Democray and Peace entwickelt, um israelische und palästinensische Jugendlichen zum Perspektivwechsel zu ermutigen. 1996 wurde sie auch in Deutschland eingeführt. Schwerpunkt der Methode ist es, Wege der demokratischen Entscheidungsfindung zu betrachten. Die Teilnehmenden sollen anhand von Übungen und Reflektionen das eigene Handeln klarer erfahren und hinterfragen, als sie es im Alltag sonst tun würden. Dafür nutzt die Methode Erfahrungen und Erlebnisse. Das persönliche Verhalten wird als Bestandteil einer Gruppe oder Gesellschaft betrachtet, wodurch das Erlernen und Begreifen eines demokratischen Miteinanders ermöglicht wird. Die Freiheit und Entfaltung eines jeden stehen dabei – oft nur unterschwellig - im Mittelpunkt.

Umwandlung eines Konflikts in ein Dilemma

Während des Seminars wurde uns stets zuerst eine Aufgabe gegeben. Anschließend wurden die Übungen in zwei Phasen reflektiert. Zuerst das Ergebnis, anschließend der Prozess. Diese Trennung erleichterte das Reflektieren und Ordnen der Gefühle. Oft waren Leute mit dem Ergebnis unzufrieden, aber der Prozess war für sie in Ordnung – oder umgekehrt.

Beispielsweise diskutierte die Gruppe etwa 1,5h darüber, ob man die folgende Übung draußen oder im Haus machen sollte. Es gab Teilnehmende mit dem starken Bedürfnis nach Sonne und frischer Luft und es gab Teilnehmende mit einer Sonnenallergie. Dieser Interessen- oder eher Bedürfniskonflikt hielt uns lange auf und führte bei der Gruppe zu einer ermüdenden Diskussion. Doch auch dies war Teil der Betzavta Methode. Alle waren müde und frustriert, doch uns wurde das Dilemma klar: Ein Dilemma, dass jede*r in sich selbst (man wollte sein Bedürfnis erfüllen ohne jemanden auszuschließen oder zu verletzen) und das die Gruppe gemeinsam hatte.

Reflektion zur Bewusstseinsstärkung

Während des Trainings wurde viel über Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Gleichberechtigung und Inklusion gesprochen. Was bedeuten diese Begriffe für jede*n Einzelne*n von uns und wie setzen wir sie um?
Schnell merkten wir während der Übungen, dass Gleichberechtigung und Inklusion gar nicht so einfach sind. Beispielsweise gab es eine Übung bei der drei Freiwillige den Raum verließen. Der Rest der Gruppe einigte sich auf ein Thema und ersetzte drei gängige Worte durch beliebige andere. Anschließend wurden die drei Freiwilligen zu der Diskussion dazu geholt.

Nach 15 Minuten war die Übung zu Ende und es begannen die beiden Reflektionsphasen. Schnell wurde deutlich, dass es für alle schwer war zu wissen, wie die drei Freiwilligen sich gefühlt hatten und warum man ihnen geholfen hatte oder auch nicht. Viele Fragen und eine intensive Diskussion über die Reaktionen und Beweggründe, über die getroffenen Annahmen und Wünsche von Anderen (sowohl der Freiwilligen als auch der anderen Gruppenmitglieder) kamen auf.

Das Dilemma wurde offensichtlich: Wir wollen alle integrieren, aber wissen oft nicht, was andere wollen oder brauchen. Dies führte zu viel Frustration, Gefühlen von Hilflosigkeit, Ungerechtigkeit oder Schuld. Ähnliches geschah während der Reflektionsrunden, als wir uns fragten was Inklusion, Redeanteile und die aktive Beteiligung innerhalb der Runden miteinander zu tun haben. Jede der Übungen barg solch knifflige Situationen und schwierige Dilemmata in Bezug auf demokratische, partizipative und inklusive Prozesse.

Betzavta gibt keine Antworten sondern macht einem diese Dilemmata bewusst und hilft einem, Erfahrungen und persönliches Verhalten zu reflektieren und gezielter zu handeln, seine eigenen Werte umzusetzen, die eigenen Bedürfnisse und die von anderen einzuschätzen, zu beachten und zu respektieren. Die Methode und das gestärkte Bewusstsein für die Dilemmata und die Achtsamkeit für Bedürfnisse werden uns sicher noch lange begleiten und unterstützen.

Auch wenn das Seminar stark von diesen Dilemmata, Frustration und dem Aufzeigen innerer Gefühle geprägt war, gab es einen starken Gruppenzusammenhalt, viel Spaß und Vertrauen. Denn durch den Austausch und in der Reflektion der Erfahrungen und Gefühlswelten entstanden viele Prozesse, die mehr Klarheit und Bewusstheit um eigene Werte und die eigene Haltung zu Inklusion und Demokratie brachten – und das im Miteinander.